Das Liebesleben der Suppenschildkröte


Hier könnt Ihr schon mal einen Blick in das Buch werfen...

»Sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden?«
Ach je, gleich so eine schwierige Frage.
Ehrlich gesagt, ich bin todunglücklich.
Mein Leben ist eine einzige Katastrophe, ich habe auf der ganzen Linie versagt. Alles läuft schief. Keiner liebt mich. Mir sind bloß die Stricke ausgegangen, sonst hätte ich was anderes getan, als mich im Internet auf Ihre Seite zu klicken.
Aber so direkt will ich es dann doch nicht formulieren. Ich beschreibe das Problem lieber etwas dezenter und tippe: »Bei meinem Lebensmotto halte ich es mit Goethe: Auch aus den dicksten Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man immer noch was Schönes bauen.«
Das habe ich neulich im Wartezimmer meines Zahnarztes auf einem Wandkalender gelesen.
Klingt irgendwie souverän. Und mit Goethe kann man schließlich nicht viel falsch machen.
Okay, nächste Frage: »Was war in der vergangenen Woche der schönste Moment für Sie?«
Hm, schwer zu sagen: als ich mich am Sonntagabend mit einer Tüte Chips aufs Sofa gelegt und im Fernsehen den Münsteraner Tatort geschaut habe?
Das entspricht vermutlich der Wahrheit, kommt aber ein bisschen langweilig rüber.
Als ich am Sonntagnachmittag meinen demenzkranken Urgroßonkel im Altersheim besucht habe und er mich mit feuchten Augen so dankbar angelächelt hat?
Klingt edelmütig, ist aber eine Lüge. Ich habe überhaupt keinen Urgroßonkel, und auch sonst kenne ich niemanden, der an Demenz leidet und im Altersheim lebt.
Bleibt nur eines: »Als ich am Sonntagmorgen durch den Englischen Garten geradelt bin und gesehen habe, wie zauberhaft die frühen Sommersonnenstrahlen durch die Bäume schimmerten und tausend Tautropfen auf der Wiese funkeln ließen.«
Oder ist das zu kitschig? Sehr viel Beeindruckendes habe ich in dieser Woche leider nicht erlebt. Ich lasse es erst mal stehen. Leichte romantische Anwandlungen haben doch alle Frauen. Vielleicht fällt mir nachher noch was Intelligenteres ein. Jetzt weiter im Text:
»Wie sportlich sind Sie?«
Na ja. Wie man’s nimmt. Ich gehe jeden Tag sechs bis sieben Mal in unserem Altbautreppenhaus die Stufen zum fünften Stock hoch und runter, meist beladen mit Einkaufstüten, Wäschekörben oder Wasserkästen und was es sonst noch zu schleppen gibt. Das betrachte ich als sehr sportlich.
»Ich betreibe jeden Tag Fitness«, kann ich guten Gewissens behaupten.
»Welche Eigenschaften soll Ihr Partner haben?«
Diesmal brauche ich tatsächlich nicht lange nachzudenken:
»Klug, humorvoll, attraktiv, unternehmungslustig, intelligent, treu, ehrlich, gebildet, gerecht, selbstbewusst, fröhlich, verantwortungsvoll, höflich, charakterstark, hilfsbereit, kinde...«
Hey, wieso passt da nichts mehr hin? Ist die Spalte etwa schon zu Ende? Kinderlieb halte ich für eine sehr wichtige Eigenschaft. Darauf möchte ich auf keinen Fall verzichten.
Ich tippe »kdlb.«. Derjenige welcher wird schon wissen, was ich meine.
Jetzt wollen sie auch noch alle möglichen persönlichen Daten wissen: »Wie lautet Ihr Vorname? Wie alt sind Sie? Wie ist Ihr Familienstand? In welchem Sternzeichen sind Sie geboren? Welche Haarfarbe, welche Kleidergröße, welche Schuhgröße haben Sie? Wie groß sind Sie?«
Ja, hallo. Kommt als Nächstes die Frage nach meiner Körbchengröße? Der Mann, der diesen Fragebogen liest, hat ja an mir überhaupt kein Geheimnis mehr zu entdecken.
»Sophie, 41, geschieden, Skorpion, meistens braun, 38, 39, 172 Zentimeter.«
»Leiden Sie unter unheilbaren Krankheiten oder Erbkrankheiten?«
Ich glaub, ich spinne. Ich bin kerngesund, soweit ich weiß, aber das führt ja wohl eindeutig zu weit! Schon mal was von Datenschutz gehört?
Abbrechen.
»Wenn Sie die Befragung jetzt abbrechen, gehen alle Einträge verloren. Wollen Sie die Befragung wirklich abbrechen? Ja. Nein.«
Ja.
»Sind Sie sich sicher, dass Sie die Befragung jetzt abbrechen wollen? Ja. Nein.«
Ja, verdammt noch mal.
»Sie haben die Befragung abgebrochen. Herzlich willkommen auf der Startseite von Premiumpartner.de, dem niveauvollen Partnersucheportal im Internet. Beantworten Sie unseren Fragebogen und lernen Sie endlich den Partner kennen, der wirklich zu Ihnen passt. Klicken Sie auf Okay, wenn Sie jetzt mit der Beantwortung unseres Fragebogens beginnen wollen. Viel Erfolg bei der Suche nach einem Partner.«
Beenden.
»Sie wollen den Computer jetzt herunterfahren? Ja. Nein.«
JA!
Der Laptop summt noch ein paar Sekunden lang. Dann ist es im Wohnzimmer still und dunkel.
Es geht einfach nicht. Ich kann mir keinen Mann im Internet suchen. Auch wenn Miriam sagt, das sei doch ganz normal, das würden jetzt alle machen.
Man lernt sich halt kennen, wo man ist, hat sie gesagt. Bei der Arbeit, im Club, im Urlaub, im Internet. Das Web gehört nun mal auch zu unserem Lebensraum. Da sei doch gar nichts dabei. Ihre Cousine habe auch einen Mann bei Premiumpartner gefunden, und den werde sie demnächst heiraten.
Aber ich schaffe das nicht. Ich kann mir Bücher im Internet besorgen, DVDs, Kinokarten, Flugtickets oder einen Gemüsehobel. Aber einen Mann? Das ist doch total peinlich. Steht es wirklich schon so schlimm um mich?
Ich klappe den Laptop zu.
Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden ...

Samstag, 21:28

Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Dieter sitzt neben mir in meinem Wohnzimmer auf meinem Sofa, hat seinen Arm um meine Schultern gelegt und sieht mich begeistert an.
Alles ist perfekt für den ultimativen Abend: Auf dem Tisch vor uns stehen zwei Gläser mit perlendem Prosecco, das eine halb geleert, das andere (meines) schon fast ganz. Die zwei Dutzend dunkelroten Teelichter, die ich vor einer Stunde im Zimmer verteilt habe (Duftnote Indische Rose), verbreiten die erwünschte sinnliche Stimmung. Ich jedenfalls bin schon ganz kribbelig. Aus den Boxen meiner Musikanlage ertönt leise Musik: Debussy. Das ist einerseits schön romantisch (Klaviermusik!), andererseits aber auch ein bisschen intellektuell anspruchsvoll (Klassik!) und nicht so pubertär wie die Kuschelrock-CDs, die ich früher an solchen Abenden gern mal eingelegt habe. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mit Céline Dion und »My Heart Will Go On« einen anderen vielversprechenden Mann vertrieben habe. Wobei mir der Zusammenhang zwischen meinem Musikgeschmack und dem abrupten Rückzug meines hinreißenden Begleiters erst Tage später, nämlich nach eingehender Beratung mit Miriam, klar wurde. Heute soll mir so was nicht passieren.
»Schöne Musik hast du«, sagt Dieter jetzt und streicht mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. Na also. Ich lächle wissend. Ich hab doch geahnt, dass er auf so was steht. Endlich küssen wir uns. Es klappt!
Dieter von Glandorf. Fünfundvierzig Jahre alt. Seit einem halben Jahr von seiner Frau getrennt und seit vorgestern vor einer Woche der Mann in meinem Leben. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen. Ich bin so glücklich. Das Leben ist großartig mit Dieters Hand im Nacken und Debussys »Clair de Lune« im Ohr.
Dieter ist Unternehmensberater. Ein wichtiger, kluger und schöner Mann. Der wichtigste, klügste und schönste Mann, den ich kenne. Stets trägt er perfekt sitzende Anzüge und hochglanzpolierte Schuhe. Ich mag die kleinen Fältchen in seinen Augenwinkeln und seine leicht ergrauten Schläfen, sein ansonsten dunkles, akkurat frisiertes Haar und die makellosen Zähne, wenn er lacht. Und er lacht gerne. Er ist so witzig. Er ist wunderbar.
Wir haben uns auf dem Geburtstagsfest meiner Kollegin Tanja kennengelernt. Und zwar am Buffet, als wir beide gleichzeitig nach dem letzten Chicken Wing auf der Platte greifen wollten. Großzügig, wie er ist, überließ er ihn mir, und wir kamen schnell ins Gespräch über die Vorteile von Fingerfood im Allgemeinen und über die Bedeutung der mexikanisch-amerikanischen Küche für das deutsche Partywesen im Besonderen. Danach waren wir zweimal miteinander zum Essen aus, einmal italienisch, einmal französisch, und dabei hat es sich irgendwie entwickelt.
Ich weiß gar nicht genau, wie ich es geschafft habe, diesen tollen Typen in mein Wohnzimmer zu bekommen. Belebt durch eine halbe Flasche Rotwein habe ich nach der Crème Brûlée im Chez Jacques einfach gesagt: »Das nächste Mal treffen wir uns bei mir zu Hause, hast du Lust?« Und er hat gegrinst und »Na klar doch hab ich Lust« gesagt.
Na klar doch. Da sitzen wir also Seite an Seite auf meinem verschlissenen Ikea-Sofa mit dem hellblauen, viel zu großen Überwurf, der die Schokoladen-, Kaffee- und Orangensaftflecken der vergangenen fünf Jahre auf dem Polster verdeckt.
Und wie wir da sitzen! Vor allem ich: Ich trage die schwärzesten, spitzesten, steilsten Highheels, die mein Kleiderschrank hergegeben hat, die hauchdünnsten Nylonstrümpfe, den besonders hoch geschlitzten schwarzen Rock und eine allerverwegenst schimmernde weiße Seidenbluse. Darunter meine extra neu gekaufte cremefarbene Spitzenunterwäsche mit dem dezent einen Bilderbuchbusen formenden BH. Mehr geht nicht. Wenn es heute nicht klappt, klappt es nie mehr.
»Du siehst super aus«, sagt Dieter und zieht mich näher an sich heran. Noch ein Kuss. Eine Hand wandert vom Knie aus meinen Oberschenkel entlang. Der Rock verrutscht, verabschiedet sich größtenteils irgendwohin in Richtung Bauchnabel.
Wenn nur mein Herz nicht so laut und lästig klopfen würde. Ich bin doch kein Teenager mehr! Hoffentlich hört er es nicht. Er muss ja nicht unbedingt wissen, dass ich seit dreizehn Monaten, einer Woche und vier Tagen auf einen Abend wie diesen warte. Dass heute der Tag ist (beziehungsweise die Nacht!), an dem eine lange Zeit der Einsamkeit und Enthaltsamkeit zu Ende gehen wird.
Im Schlafzimmer habe ich schon am Nachmittag alles vorbereitet: Das Bett ist mit frischer, duftender Wäsche aus dunkelblauem Satin bezogen, und auf dem Nachttisch liegen – dezent versteckt unter einem Stapel Krimis – drei Kondome in verschiedenen Ausführungen, man weiß ja nie. Ich bin jedenfalls auf alles vorbereitet.
»Du süße, scharfe Maus«, flüstert mir Dieter ins Ohr.
Bingo!!
Ich will gerade fragen, ob er etwas dagegen hat, wenn wir den Prosecco in einem anderen Zimmer weitertrinken, da höre ich, wie die Klinke der Wohnzimmertür leise quietscht.
O nein, bittebitte nicht jetzt.
»Mama, ich hab Durst.«
Da steht sie, Lina, das allergoldigste, blondgelockteste kleine Mädchen der Welt, im rosaroten Bambinachthemd und blinzelt schläfrig in das Kerzenlichtermeer. Ein Anblick, der mir zu jedem anderen Zeitpunkt das Herz aufgehen lassen und mich mit einer Woge Mutterglückshormone über schwemmen würde. Aber doch nicht jetzt, wo gerade ein paar ganz andere Hormone aktiviert worden sind.
Warum schläft sie denn ausgerechnet heute Abend nicht? Vor einer Stunde war doch noch alles absolut ruhig im Kinderzimmer. Offenbar hat das stundenlange Plantschen im Träum-süß-bis-morgen-früh-Schaumbad seine Wirkung verfehlt. Warum überhaupt kann ein fast fünfjähriges Mädchen nicht einfach aufstehen, in die Küche gehen und sich ein Glas Wasser eingießen, wenn es in der Nacht aufwacht und das Bedürfnis hat, etwas zu trinken? Besteht die Notwendigkeit, eine Mutter zu jeder Tageszeit über jedwede Befindlichkeit zu informieren?
Offensichtlich ja.
»Ich komm ja schon, mein Schatz«, sage ich seufzend und zu Dieter: »Tut mir leid, ich bin gleich wieder da.«
»Wer ist der Mann?«, fragt Lina, als wir in die Küche gehen.
»Das ist ein Freund von mir«, sage ich.
»Wie heißt der denn?«
»Dieter.«
»Schläft der Dieter heute Nacht bei uns?«
»Äh, ich weiß nicht... Vielleicht...«
»Warum weißt du das nicht? Hat er seine Zahnbürste vergessen?"
»Ich hab ihn noch nicht gefragt. Jetzt trink ein bisschen, und dann gehst du wieder ins Bett.«
Ich reiche ihr ein Glas mit Leitungswasser. Lina trinkt langsam ein paar Schlucke. Sehr langsam. Hauptsächlich sitzt sie auf dem Stuhl und schaut zu, wie ihre Beine schlenkern. Besonders müde wirkt sie nicht. Ich werde das Kinderschaumbad reklamieren.
Ich atme tief durch und warte. Jetzt nur keinen Fehler machen, bloß nicht ungeduldig werden. Ich lächle sie an und bemühe mich, ozeanische Ruhe auszustrahlen. Versuche, so auszusehen, als dächte ich gerade: Ich kann gerne die ganze Nacht mit dir in der Küche sitzen, mein Liebling, wenn dir danach zumute ist. Wir haben alle Zeit der Welt. Überhaupt kein Problem, dass da im Wohnzimmer gerade der großartigste Mann sitzt, der mir seit langem begegnet ist und der bis vor drei Minuten dabei war, sich mir auf höchst erfreuliche Weise zu nähern. Alles kein Problem.
Wenn Lina nur den geringsten Verdacht schöpft, dass ich sie am liebsten gerne ganz schnell wieder loswerden würde, ist alles zu spät. Dann fallen ihr garantiert noch zehn weitere Fragen ein, die unbedingt sofort geklärt werden müssen, und ich komme in den nächsten zwei Stunden nicht mehr zu Dieter zurück.
»Wann habe ich Geburtstag?«
»In zwei Wochen.«
»Ist das bald?«
»Ja, ganz bald.«
»Können wir morgen auf den Spielplatz?«
»Ja, vielleicht, wenn du jetzt gleich wieder ins Bett gehst.«
»Können wir auch Eis essen?«
»Mal sehen. Wenn es warm genug ist.«
»Ich mag am liebsten Zitroneneis.«
»Lina!! Jetzt aber genug. Es ist spät, und du musst schlafen.«
»Ich hab aber noch mehr Durst.«
Noch dreieinhalb Schlucke Wasser im Zeitlupentempo.
Ich bin ganz ruhig, sage ich mir. Die Nacht ist noch jung. Ich bin ganz ruhig.
Eine Viertelstunde später ist es vollbracht. Sie liegt tatsächlich wieder im Bett. Und zwar in ihrem eigenen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie lieber in meinem Bett geschlafen, was ehrlich gesagt öfter vorkommt. Diesmal aber konnte ich sie gerade noch davon abhalten. Heute habe ich andere Pläne. Ich mache einen Abstecher ins Bad und checke mein Make-up. Alles gut, alles still.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkomme, ist Dieter aufgestanden und sieht sich meine CD-Sammlung an. Oh Gott. Hoffentlich hat er Céline Dion noch nicht entdeckt.
»Komm«, sage ich, »magst du noch etwas Prosecco?«
Es dauert ein bisschen, bis das Getränk, Debussy und die Indische Rose wieder ihre volle Wirkung entfaltet haben. Das Küssen will mir aber nicht ganz unverkrampft gelingen, weil ich währenddessen konzentriert auf Geräusche aus dem Kinderzimmer lausche.
Dieter scheint diese Sorgen nicht zu haben. Er befasst sich intensiv mit meinem Ohrläppchen, meinem Hals und den Knöpfen meiner Bluse. So intensiv, dass ich nach einer Weile nicht mehr an das Kinderzimmer und auch nicht mehr an irgendwelche Geräusche denke. Bis mich wieder eines aufschreckt.
»Mama, ich muss Pipi.«
Diesmal steht Spongebob in der Wohnzimmertür. Er ist drei Jahre alt, heißt Timo, trägt seinen Lieblings-TV-Serien-Schlafanzug und seit kurzem manchmal keine Windel mehr.
Schade eigentlich.
Dank Dieters Aktivitäten habe ich nicht einmal die Klinke quietschen hören.
»Ich komme ja schon!«, sage ich. Als ich aufstehe und im Gehen meine Bluse zuknöpfe, nehme ich gerade noch wahr, wie Dieter hinter mir ein leises, aber deutlich unwilliges Grunzen ausstößt.
Timo möchte nicht nur aufs Klo, er möchte auch noch eine kleine Gutenachtgeschichte hören, als er wieder im Bett liegt. Ich kann nicht lange mit ihm diskutieren, weil ich befürchte, dass das länger dauern würde, als schnell was vorzulesen, außerdem könnte Lina im Bett nebenan wieder aufwachen, und dann geht das ganze Theater von vorn los.
Also flüstere ich schnell ein paar Sätze aus dem Zwergenbuch. Aber es dauert dann doch ein ganzes Kapitel, bis er endlich wieder eingeschlafen ist.
»Tut mir leid«, wiederhole ich eine knappe halbe Stunde später im Wohnzimmer. »Ich weiß gar nicht, was heute mit den beiden los ist. Sonst schlafen sie immer ganz problemlos...«
»Macht ja nichts«, antwortet Dieter, aber seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, macht es doch eine ganze Menge. Er sitzt jetzt sehr aufrecht auf dem Sofa, Lichtjahre entfernt davon, etwas zu sagen wie: »Du süße, scharfe Maus.« Geschweige denn die anderen Satzfetzen, die er mir zwischen den Auftritten der Kinder eins und zwei ins Ohr geraunt hat.
Stattdessen sagt er: »Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich jetzt gehe. Es ist schon spät, und du hast ja sicher morgen auch einen anstrengenden Tag.«
»Nein, nein. Das ist kein Problem. Bleib doch noch ein bisschen. Jetzt schlafen sie wirklich ganz fest. Ich hol uns noch ein bisschen Prosecco aus dem Kühlschrank.«
Oh Gott! Fange ich jetzt schon an, darum zu betteln, dass er bleibt?
In dem Moment ist die CD zu Ende, und das erste Teelicht erlischt. Als hätte sich alles gegen mich verschworen.
Ich versuche es noch mit einem Scherz: »Jetzt stört uns keiner mehr, ganz sicher. Ist doch ein Glück, dass ich nur zwei Kinder habe, nicht wahr?«
Dieter lächelt verkniffen. Wahrscheinlich denkt er gerade: Was für ein Pech, dass sie überhaupt Kinder hat.
»Lass mal gut sein. Ich hatte auch eine harte Woche.«
»Och, schade. Aber weißt du, ich kann ja auch gern mal zu dir kommen. Am nächsten Wochenende übernachten die beiden bei meinem Exmann.«
»Ja, mal sehen. Wir telefonieren, okay?«
Bloß nicht heulen, denke ich. Jetzt ganz cool bleiben und lächeln.
Als er weg ist, heule ich doch und werfe die Debussy-CD aus dem Fenster.

Sonntag, 14:52

»So ein Blödmann!«
Miriam hatte noch nie eine Vorliebe für diplomatisch verbrämte Botschaften.
»Wie kann er abhauen, nur weil deine beiden Süßen kurz mal auftauchen! Was hat der denn erwartet? Dass du sie für zwölf Stunden mit K.-o.-Tropfen betäubst? Sei froh, dass du ihn los bist. Das wäre sowieso nie was Ernstes geworden mit euch.«
Ich denke: Ein bisschen was Unernstes zwischendurch wäre auch mal nicht schlecht gewesen.
Miriam lässt zwei Aspirin in ein Glas Wasser fallen und schiebt es mir über den Küchentisch zu.
Ich blicke in die blubbernde Flüssigkeit und leide still vor mich hin. Nicht nur, weil Dieter mich hat sitzen lassen und nichts aus der heiß ersehnten Liebesnacht geworden ist, sondern auch, weil ich gestern Abend aus lauter Frust die noch dreiviertelvolle Proseccoflasche allein geleert habe. Und weil ich danach immer noch nicht fröhlich war, habe ich noch ein paar Tequila getrunken. Was leider auch nicht wirklich geholfen hat. Ganz im Gegenteil: Jetzt bin ich mir nicht sicher, ob mir mein gebrochenes Herz oder mein explodierender Schädel die größeren Schmerzen bereitet.
Wir sitzen in Miriams Küche, Lina und Timo hocken pädagogisch unkorrekt nebenan im Wohnzimmer vor dem Fernseher und schauen irgendeinen Zeichentrick-Kinderkram mit Hündchen und Häschen. Mucksmäuschenstill sind sie. Vielleicht hätte ich ihnen gestern Abend auch besser eine Disney-DVD einlegen sollen.
»Shit happens«, sagt Miriam. »Lass dich nicht unterkriegen. Es gibt noch andere Männer auf der Welt.«
»Ich komme mir vor wie bei der Telefonseelsorge«, knurre ich.

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